1850 – 1872: Revolutionswirren, Krieg, Tod und Sturmflut
So war die Familie Berg um 1850 komplett, hatte 1848 den Schleswig-Holsteinischen Krieg und die Blockade Rostocks überstanden und die Inbetriebnahme der Eisenbahnverbindung Rostock-Schwerin-Hagenow im Mai 1850 erlebt – vier Kinder tobten durch die kleinen Zimmer, und erstmals wurde darüber nachgedacht, ob es lohnend wäre, Badegäste über den Sommer aufzunehmen und die Haushaltskasse aufzufüllen. Schon seit 1821 war Warnemünde als Badeort bekannt, fünf Jahre später verbringen bereits 600 Badegäste den Sommer in dem kleinen Ort.

Ansicht von der späteren „Bismarckpromenade“ mit Telegraphenleitung und mecklenburgischer Flagge um 1865.
Quelle: Privatsammlung A. Mehrländer (Berlin).
Leider muss es Spekulation bleiben, ob Hans H. Berg seinem Lotsenkameraden Holtfreter an jenem Sonntag, dem 12. November 1850, dabei zur Hand ging, als die Schonerbrigg „Kleine Anna“ vom Warnemünder Hafen aus in See stach – an Bord kein Geringerer als der Achtundvierziger Revolutionär Carl Schurz, der seine letzte Nacht in Deutschland im Wöhlertschen Gasthause am „Alten Strom“ (später „Hotel Seestern“) verbracht hatte und seinen Häschern nur in letzter Sekunde entkommen konnte. Das Ziel des 21jährigen Studenten, auf den die Todesstrafe ausgesetzt war: London - erst 1852 landet er schließlich in Philadelphia. Carl Schurz wurde 1862 im amerikanischen Bürgerkrieg Unions-General, gewann 1868 die Wahl zum Senator von Missouri und zog in den amerikanischen Kongress ein – 1877 wurde Schurz in das Kabinett von Präsident Rutherford B. Hayes berufen und bekleidete das Amt des Innenministers der Vereinigten Staaten von Amerika – das höchste Amt, das je ein Deutscher in den USA erringen sollte. Carl Schurz starb am 14. Mai 1906 in New York City – ohne je zu wissen, dass es zwischen Warnemünde und New York rund 95 Jahre später – allerdings für nur kurze Zeit – eine direkte Schifffahrtsslinie geben sollte!!
Gemäß A. Reimers Wohnungs-Anzeigers für Warnemünde aus dem Jahr 1857 bestand der Ort zu jener Zeit aus etwa 300 Häusern, die von 1.300 Warnemündern bewohnt waren. Das Haus am Leuchtturm 4 besaß in jenem Jahr im Untergeschoß 7 Wohnstuben, im Obergeschoß 2 Wohnstuben, darüber hinaus „2 Kochgelegenheiten und sonstige Localitäten.“ Die „Hinterwohnung“ - so steht zu lesen – „die Aussicht nach der freien See. Das Ganze an 2 Familien.“
Der Lotse Hans Heinrich Berg starb am 7. August 1859 mit 51 Jahren an der seinerzeit in Warnemünde wütenden Choleraepidemie. Mit Hans Heinrich Berg starben damals 59 Einheimische und über 100 Kurgäste an der Seuche – sie alle wurden am Abend ihres Sterbetages in der Dämmerung an der Ostseite des Kirchhofes an der Luisenstraße in aller Stille beigesetzt. Hans Berg hinterließ seine Witwe, Sophie Catharine Marie Berg, geb. Holtz, und vier Kinder: den Schiffer Wilhelm Berg, den zu Wustrow lebenden Schiffer Heinrich Berg und die minderjährigen Kinder Franz und Anna Berg. Anlässlich der Testamentseröffnung erhielten die minderjährigen Kinder Franz und Anna Vormünder, und zwar den Warnemünder Bürgerältesten Jacob Vick und den Lotsen Heinrich Kreplien, der von 1863 bis 1865 Schiffer auf der Rostocker Brigg Bertha (120 Lasten) war und für die Reederei C. M. Brockelmann, Rostock, fuhr.
Heinrich Kreplien wurde 1865 Warnemünder Lotsenältermann, ein von den Lotsen gewählter und vom Gewett zu bestätigender Stellvertreter des Lotsenkommandeurs. Da der Lotsenkommandeur Davids 1864 aus dem Dienst schied und der neu bestallte, später legendäre Lotsenkommandeur Stephan Jantzen (1827-1913) erst 1866 seinen Dienst antrat, hatte Heinrich Kreplien als Vormund der seinerzeit 16jährigen Anna Berg im Jahr 1865 die Gesamtverantwortung für das Lotsenwesen in Warnemünde und war ein enorm wichtiger Mann.
Der Krieg von 1864 brachte Warnemünde einen Schanzenbau und Besatzungs-Soldaten, die durch die engen Straßen lärmten – im November 1865 wurde schließlich Laternenbeleuchtung in Warnemünde eingeführt.

„Blick von der Westmole auf Warnemünde um 1907“.
Quelle: Privatsammlung A. Mehrländer (Berlin).
Ob das Haus bei der schweren Sturmflut vom 12. bis 14. November 1872, die in Warnemünde unermessliche Schäden anrichtete, beschädigt wurde, ist nicht belegt. Damals hatten die durch schwere Stürme getriebenen Wassermassen Warnemünde von allen Seiten umschlossen – nur der Georginenplatz und die Anlagen um den Leuchtturm blieben trocken...hier drängten sich – nach Überlieferungen – am Abend des 14. November 1872 rund 1.600 verängstigte Warnemünder auf engstem Raum und beteten um ihre Errettung. Der Sturm ließ nach, das Wasser lief ab.
Text und Recherche: Dr. Andrea Mehrländer (© 2015); die Auskünfte zum Lotsen Heinrich Kreplien stammen von K. Michaelis, Lotsenbrüderschaft Wismar/Rostock/Stralsund (© 2012)